Sprecher und Selbstzweifel

Weshalb ich mich manchmal selbst wegzappe

Sprecher und Selbstzweifel

Weshalb ich mich manchmal selbst wegzappe.

Ich arbeite nun seit zwanzig Jahren als Sprecher mit eigenem Tonstudio. Meist sitze, stehe oder liege ich alleine in meiner Verrichtungsbox. Wenn ich mich für die Audio-Produktion nicht live mit anderen Studios, Agenturen oder Produktionshäusern verlinke, editiere ich meine Stimme nach der Aufnahme auch selbst.

So befasse ich mich also seit etwas mehr als zwanzig Jahren intensiv mit Stimmen - und mit meiner im Speziellen.

Profi hin oder her: Meine Stimme klingt im natürlichen Tagesgespräch nicht jeden Tag gleich. Textänderungen für Aufnahmen, die mehrere Monate zurückliegen, kann ich jedoch meist aktualisieren - und treffe den damaligen Ton vor dem Mikrofon. Dies gehört zum Stimmenspiel - und ein Stück weit wohl zum professionellen Sprecher. Die Nuancen der Tagesverfassung sind für die Wenigsten der Aussenwelt hörbar.

Doch zurück zum eigentlichen Thema: Weshalb ich mich manchmal selbst wegzappe:

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Manchmal gibt es Tage, da mag ich meine Stimme überhaupt nicht. Weder sie benutzen - noch sie hören. Wenn ich einen Spot mit mir im Fernsehen sehe, zappe ich schnell weg - spätestens, nachdem ich all "die Fehler" bereits im ersten Einsatz hörte. Passt meine Stimme wirklich zu dieser Produktion? Weshalb haben die mich ausgewählt? Würden sie es bei einem nächsten Projekt wieder tun? Wenn ja - weshalb?

Wenn ein "ich mag mich heute nicht hören"-Tag auf einen Aufnahmetag einer grossen Produktion fällt - ist dies natürlich um einiges schlimmer, als wenn eine solche Gefühlslage an einen Samstag Abend zu Besuch kommt. Denn die gebuchte Sprecherrolle soll auch mit entsprechender Haltung eingenommen werden - und der "unsicher wirkende Sprecher" wird nur äusserst selten gesucht und besetzt.

Pssst: Manche Sprecher leiden halbtags unter dem so genannten «Hochstapler-Syndrom». Wikipedia erklärt dies im Detail - die Kurzvariante: Unter dem Hochstapler-Syndrom leidende Menschen leben mit einer Angst im Nacken, dass irgendwann mal Irgendjemand rausfindet, dass man selbst eine komplette Niete ist und in der gewählten Branche eigentlich nix verloren hat.

Dies kommt jedoch meist nur bei jenen Sprecherinnen und Sprechern vor, die schon mehrere Jahre ihre Dienste professionell anbieten. Wir hätten also die Gegenargumente der unbegründeten Angst bereits im Rucksack. Und genau auf die jahrelange Routine (sonst bleibt ja nix über) muss man sich als Sprecher in einer solchen Situation verlassen - und somit auf sich selbst.

Sprechertipp vom Sprecher-Typ: Selbstzweifel sind ein gutes Fundament für ein langjähriges Sprecherleben.

Sofern sich die Zweifeltage nur hin und wieder in den Vordergrund drängen, ist meiner Meinung nach alles im Rahmen und bestenfalls werden aus Zweifeln Verbesserungen für das nächste Mal. Denn, natürlich gibt es auch Tage, an welchen auch ich mir gerne zuhöre - wie hier beschrieben.

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