Sprecher sind doch alles Diven

Was der Sprecher nebst Text sonst noch alles braucht

Sprecher sind doch alles Diven

Ich erinnere mich an meine Zeit als Angestellter bei Funk und Fernsehen: Sprecher hatten damals den Ruf, Diven zu sein. Sonderwünschlein hier, Aufnahmepausen da, Textverbesserungsanregungen dort. Sowas nervt. Mindestens genauso wie lange Wörter.

Aber.

Was nach Aussen divenhaft wirken mag, birgt meist eines der Puzzlestücke für ihre pefekte Produktion! Haben Sie das Ausrufezeichen bemerkt? Eben! Denn jetzt wird es goldig für Sie: Ich erkläre hier gerne, weshalb sich der gute Sprecher auch nebst dem Text zu Wort meldet und es sich auch für Sie lohnt, ihn und seine Fragen ernst zu nehmen.

"Krieg ich noch ein Wasser?"
Ein kleines Wasser für den Menschen, eine grosse Reinheit für den Sprecher. Auch wenn nach dreissig Seiten Text nur noch der letzte Abschnitt zur Aufnahme steht - wenn des Sprechers Wasserglas leer ist, muss da wieder Wasser rein. Für Sprecher ist Wasser, was für Rasenmäher Benzin oder Strom ist. Oder Oel. Suchen Sie sich eines aus - aber um Himmelswillen «Füllen Sie Wasser nach». Den Tönler freuts, weil er weniger Mund- und Gaumengeräusche rausschnibbeln muss, Sie freut es, dass er diese Zeit nicht verrechnen darf - und zu guter Letzt vertrocknet der Sprecher nicht innerlich, und steht so auch für ihre nächste Produktion wieder zur Verfügung. Dass es bei mir persönlich gerne Hahnenburger sein darf, lesen Sie hier.

"Was habt ihr Euch dabei gedacht?"
Zugegeben, das kann man auch eindeutiger formulieren. Versuchen wir es so: "Lasst mich Teilhaben an Euren Überlegungen, im Vorfeld der Ideenfindung und während dem Produktionsprozess". Dabei hilft es dem Sprecher mehr, wenn ihm Hintergrundinformationen zur Produktion bekannt gegeben werden, als den Text vom Texter vorgesprochen zu bekommen. Was uns gleich zur nächsten divenhaften Rückfrage des Sprechers bringt:

"Wieso habt ihr für diese Produktion mich ausgewählt? Oder genauer: Welches Hörbeispiel liess mich das Casting gewinnen?"
Der Sprecher fischt mit dieser Rückfrage nicht nach Komplimenten (den meisten Sprechern sind Lobhudeleien auf die eigene Stimme eher unangenehm - vielleicht spreche ich da aber auch nur für mich?), sondern möchte Ihnen schlicht auf die Schliche kommen. Ich bin ein Sprecher mit vielen verschiedenen Stimmen - da hilft es ungemein, wenn ich weiss, aufgrund welcher vergangenen Produktion Sie sich für mich - oder zumindest meine Stimme - entschieden haben. So weiss ich bereits vor dem ersten gesprochenen Wort, was Ihnen gefällt, und was eben nicht. Kurzum: Mit der Klärung solcher Fragen sparen Sie sich nicht zuletzt auch Studiozeit und wir sind alle schneller dort, wo die Reise hingehen soll.

"Wenn der Spot doch hier vor uns liegt - weshalb nehmen wir auf schwarz auf?"
Erstmal: Wenn die Sprecherin ins Studio kommt und die Produktion aufm Tisch liegt: Zeigen Sie ihr Werk. Gerne mehrmals. Solange und so oft, bis sich der Sprecher ganz von selbst hinters Mikro verdrückt. Natürlich muss der Sprecher «doch nur sagen, was hier steht» - hier geht es jedoch nur selten um das «was», sondern mehr um das «wie». Und da der Sprecher am Ende der Produktionskette steht (hier mehr dazu), muss er sich «auf die Produktion drauflegen». Sprecher treffen den gewünschten Ton meist schneller und besser, wenn Sie wissen, wovon sie sprechen sollen. Klingt absolut einleuchtend - wird aber manchmal leider anders gehandhabt.

Wenn ich mich divenhaft im Studio zu Wort melde und nachfrage, ob wir nicht gleich auf Bild aufnehmen sollten, höre ich meist: "Ach so - wir dachten, das verwirrt die meisten Sprecher".

Was wiederum mich sehr verwirrt.

Wenn ich in Eigenregie Produktionen aufnehme und mir Bild- und Tonmaterial in einer Pilotversion vorliegt, spreche ich immer auf Bild. Ich erspare mir so die Mühe, erstmal etliche Varianten auf schwarz zu sprechen, um die danach auf Bild zu legen und zu merken, dass es nicht passt (Sie erinnern sich an obige Zeilen betreffend Berechnung von Studiozeit?).

Kleiner, kurzer Abschweifer: Sprecher, die ihre Sporen beim Radio abverdienten, leiden manchmal an einem Radiomoderatoren-Sound in ihrer Stimme, den sie nur schwer losbringen (oder zumindest das Image davon...) Hier hab ich das mal aufgezwirbelt. Toll ist dafür die andere Seite der Münze: Ehemalige Radioleute sind es gewohnt, auf Soundbeds zu sprechen, und ihr Gefühl für Timing ist meist unschlagbar. PS: Das laute Sprechen dieses Abschweifers bis zum Wort 'unschlagbar' würde bei mir schätzungsweise 25 1/2 Sekunden dauern - woosh, "soweit der Abschweifer - lesen Sie nun die weiteren Hintergründe, weshalb wir Sprecher divenhaft wirken..."

"Wo läuft dieser Spot dann?"
Dies möchte der Sprecher nicht aus Eitelkeit, sondern aus buchhalterischen Gründen wissen. Als Sprecher vermiete ich das Recht auf die Nutzung meiner Stimme - wie beim Pedalofahren werden auch Werbe-Stimmen nach Nutzungsdauer honoriert.

"Kannst Du mich noch etwas lauter machen?"
Gemeint ist hierbei nicht der Aufnahmepegel - der liegt ganz im Gutdünken des Ton-Ingineurs. Gemeint ist der Kopfhörer-Mix, im speziellen die Sprecher-Spur. Als Sprecher brauche ich einen guten Kopfhörer-Klang nicht zur Selbstliebe, sondern für Ihre Produktion. Hört sich die Sprecherin während der Aufnahme nicht so, wie sie sich das wünscht, wird sie niemals die bestmögliche Leistung erbringen können. Ein guter und zur Produktion passender Kopfhörer-Mix unterstützt den Sprecher ungemein. Es entsteht eine Art «Aufnahmekugel» rund um den Sprechenden, in welcher er oder sie sich wunderbar tummeln und eben perfekt "performen" kann. Glauben Sie nicht? Na dann lesen Sie diesen Satz mal laut vor - und halten sich währenddessen die Ohren zu.

"Darf ich für die Aufnahme sitzen?"
Es gibt Sprecherinnen, die stehen dazu. Es gibt Sprecher, die sitzen lieber. Es soll sogar welche geben, die am liebsten liegen. Ich entscheide mich jeweils je nach Produktion: Ein reisserischer Promotionsspot lässt sich im Stehen authentischer sprechen. Der «gute, intime Freund im Ohr ohne Zeitdruck» sitzt wohl besser im sitzen. Tendenziell bin ich ein Gern-Sitzer. Auch, weil sich meist mehrere Personen auf der anderen Seite der Regiescheibe befinden... Ebenfalls sind über die Jahre meine Steh-Texte weniger, die Sitz-Texte dafür mehr geworden. Eine allumfassende und für alle Sprecher geltende Aufnahmeposition gibt es meiner Meinung nach nicht.

Im Sprechunterricht wird gelehrt, sich zu öffnen - auch was die Körperhaltung angeht, um dem eigenen Klang genügend Raum zu geben. Dies mag wohl theoretisch richtig sein - professionellen Sprechern dürfen Sie aber gerne selbst überlassen, ob sie sich wie eine Kobra vor dem Mikrofon aufrichten, oder sich lieber wie ein Gipfeli hinter dem Mikrofon verkrümeln möchten. Sprecher wissen meist, wovon sie reden - gönnen Sie ihm oder ihr die gewünschte Aufnahmeposition. Es lohnt sich.

Ob wir Sprecher nun wirklich alles Diven sind oder Ihnen nur zur perfekten Produktion verhelfen möchten? Ganz klar ist auf jeden Fall, dass wir Sprecher alle einen an der Klatsche haben. Dies können Sie hier nachlesen.

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