Der Sprecher-Knigge
Einfach mal die Messe halten
Der Sprecher-Knigge
Weshalb wir nicht stinken sollten, auch wenn man uns nur hört.
Da die Verrichtungsboxen für Sprecher meist eher kleindimensioniert sind, bleiben jegliche Gerüche da jeweils etwas länger hängen. Da kann die Klimaanlage des Tonstudios noch so fortschrittlich sein.
Jeder Sprecher, der schon mal einen Aufnahmeraum betrat und die vorherig gebuchte Stimme zwar nicht mehr sicht- aber dennoch riechbar war, weiss wovon ich rede. Was also hilft? Muss der Sprecher seinen Sprecherkollegen zuliebe seinen Menüplan umstellen?
Natürlich nicht - denn mit fortlaufender Dauer der Aufnahmesession liegt die Stinkerei nicht mehr ausschliesslich in des Sprechers Verantwortung. Chli stinke mueses - muss zwar nicht, aber ist eigentlich ganz normal.
Meinen Sprecherkollegen, und nicht zuletzt auch mir selbst zuliebe, habe ich eine Drandenk- und Packliste, die ich vor jedem externen Aufnahmetermin abchecke. Also, ich packe in meinen Rucksack:
- je nach Session meinen eigenen Kopfhörer (gerade in der warmen Jahreszeit. Fremdnasse Kopfhörer überstülpen finde ich grusig)
- ein Deo zum Schummeln, wenns denn eben doch mal stickig wird
- eine Schachtel Zältli, gegen Halsschmerzen oder Mundgeruch (ja, Fremdgerüche bleiben leider manchmal auch am Ploppschutz hängen)
- meine Wasserflasche (zur Not, falls nix angeboten würde)
- etwas kleines zum Knabbern (sollte sich der leere Bauch mit Knurren lautstark melden)
- ein Korken (ohne Flasche) und ein Apfel, um - ach, das erzählte ich Ihnen ja bereits hier
- einen Kugelschreiber oder dergleichen
- genug Münz für den Parkplatz
- ich ziehe mich anständig an - mehr dazu am Schluss dieses Textes
Nun, wo alles gepackt ist, geht es auf zum Aufnahmetermin im externen Studio. Wie verhält sich der Sprecher also "in freier Wildbahn"? Am besten ganz einfach so, wie es für ihn oder sie stimmt. Wenn Sie ihren Haupt- oder Nebenberuf des Sprechens als übergestülpte Gesamt-Rolle sehen, spielen Sie diese. Wenn Sie sich damit unwohl fühlen, tun Sie dies auf gar keinen Fall - und seien Sie einfach sich selbst, und Mensch.
Sie sind neu in der Branche? Hören Sie erstmal genau zu. Versuchen Sie, umzusetzen, was gewünscht wird. Sie sind auch ein alter Hase? Na dann lassen Sie die Kundschaft an Ihrer Erfahrung teil haben. Die Session im Studio kann nämlich vom "reinen Ausführen" über "sich einmischen" bis zur "Einnahme der Alpha-Rolle" gehen - letzteres jedoch meist nur dann, wenn Sie merken, dass sonst niemand ne Ahnung zu haben scheinen mag... (was natürlich nie der Fall ist. NIE!)
Freundlichkeit und Dankbarkeit ist bei mir ganz natürlich - auch in meinem Leben als Sprecher. Sich für die Buchung zu bedanken ist für mich normal, Blumen hab ich aber noch nie verschenkt, Gipfeli schon. Der Deal ist, dass Sie Ihren Job machen, danach können Sie die Leistung und Vermietung Ihrer Stimme verrechnen. Und Sie möchten doch, dass Sie bei einem nächsten Projekt wiederum für Ihre Stimme gebucht werden - nicht, weil Sie der sind der amig Blumen bringt.
Wie erwähnt, nun abschliessend nochmals zurück zur Kleidung: Auch wenn ich als Sprecher nur hörbar bin - ein gepflegtes und hygienisches Erscheinen im Studio ist für mich selbstverständlich. Ich verkleide mich nicht, würde aber genauso wenig im Trainer im Tonstudio auftauchen. Eigentlich mag ich Hemden - ziehe die jedoch nur selten für Aufnahmen an, die Knittergeräusche engen zu sehr ein. Einengen kann natürlich auch ne knappe Hose - weshalb es für den Sprecher gilt, sich ebenfalls Arbeitskleider zuzulegen. Geräuschefrei und dennoch anständig - so würde ich mein Arbeitsgwändli beschreiben. Und manchmal auch gerne auf die Marke - oder besser: Die Zielgruppe der Marke abgestimmt.
Ja, ich stand auch schon mit nacktem Oberkörper im Studio. Es war Sommer und die Session lang - aber diese Geschichte erzähle ich ein andermal...